WAS HINTER UND VOR UNS LIEGT
Editorial zum Jahreswechsel, Teil 01: Rückblick auf 2016.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei enquery.de, dem Nachrichtenportal für Umwelt, Strom- und Energiewirtschaft. Berlin, den 29.12.2016 Autor: Daniel Khafif. Redaktion: Sönke Jessen, Daniel Khafif, Margrit Butzke Liebe Leserinnen und Leser von enQuery.de und von buccaneer.zone Was für ein Jahr liegt bislang hinter uns. Voller Konflikte, Kriege, Tode, nationaler Alleingänge, internationaler und wirtschaftlicher Herausforderungen. 2016, so redundant es mittlerweile klingen mag, war wirklich ein Jahr sichtbarer, zuvor eingeleiteter Brüche. Weltweit. Doch die Manifestation dessen, was daraus folgt, werden wir erst im Laufe der nächsten Jahre als Veränderung erleben. Memento MoriWenn wir auf den Jahresanfang 2016 zurück blicken, bekamen wir mit dem jähen Ableben weltbekannter Musikstars, wie Lemmy Kilmister von Motörhead, David Bowie und vielen, vielen anderen mehr (die Liste berühmter Prominenter war schon im April 2016 länger als im gesamten Jahr zuvor) schon einen Vorgeschmack dessen, was uns 2016 blühen würde: Der Tod hat aus seinem Handwerk geradezu eine Industrie geformt, mit blutigem Schlachten in Syrien, im Irak, in Libyen, in Nigeria, einem medial vollkommen ignorierten Angriffskrieg im Jemen, einem vergessenen Krieg in Afghanistan, einem, so GF Sönke Jessen, „frozen conflict“ in der Ukraine. Ja, und dann, bis heute nachhallend, folgen unterschiedliche Terrorwellen nach einem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 in der Türkei, mit einer anschließenden Verhaftungswelle, die ihresgleichen an die „Säuberungen“ der Militärdiktaturen in Argentinien oder Chile in den 1970ern gleicht, doch in ihrem religiös-nationalen Eifer, das muß man leider sagen, Erinnerungen an die Reichskristallnacht 1938 der Nationalsozialisten und an die allumfassende Spitzelei und Denunziation und Willkür im Stasiapparat der ehemaligen DDR erinnert.
Unilaterales Handeln, multipolare Weltordnung.Die genannten Vergleiche hinken, , wie so oft, im Detail, nicht aber in ihrer Kausalität: Nach Jahrzehnten des Konsensprinzips, sei es in der EU, aber auch der UNO, drangen unterschiedliche Regierungen weltweit in die Aufnahme größerer Staatengemeinschaften, seien es politische wie die UNO oder die EU oder wirtschaftliche wie die NAFTA oder – auch – die EU. Globalisierung und unipolare Welt unter Ägide der USA schienen der unabdingbare und akzeptierte Kurs der Welt zu sein. Doch Washington hat seinen alten – und neuen – Gegner in Moskau über die letzten Jahre wohl zu sehr in die Ecke gedrängt. Das Verhältnis, so meinte der russische Präsident Putin in einem Telefonat mit dem designierten US-Präsidenten Trump im Dezember 2016, sei zwischen beiden Staaten „so schlecht wie nie zuvor, die Wertschätzung schlimmer als im kalten Krieg“. Moskau und Washington – eine Schicksalsgemeinschaft.Dabei litt die stolze russische Nation ohnehin unter Krisen, Korruption, Machtverlust und wirtschaftlichem Mittelmaß. Rußland reichte seit Mauerfall die Hände nach Europa, nach Washington, doch wurde nicht wirklich als gleichwertiger Partner angesehen, ja von westlichen Politikern oft verbal brüskiert. Eine Schmach für die Atommacht, welche neben Frankreich, Großbritannien, den USA und China immerhin ständiges Mitglied im UN – Sicherheitsrat ist. Zumindest empfindet es die russische Führung, empfinden viele Menschen im Lande so. Im Sport und in den Medien, ob Fangewalt zur Fußball EM in Frankreich, der unendliche Doping – Kosmos, Cyberspionage oder die täglichen Sticheleien unserer Pressevertreter. Kein Tag verging, an dem nicht Rußland zumindest indirekt an irgend etwas Schuld gehabt hätte. Selbst wenn alle Dinge stimmen, müßten wir uns fragen, wie es zu solch einer permanenten Konfliktwelle kam. „It always needs two to tango“, heißt es. „Werte“, so schreibt ein arabisches Sprichwort, „entstehen, indem sie durch Liebe oder Kampf, nicht durch Geld gewonnen werden.“ Also mußte sich Moskau die Wertschätzung wieder erkämpfen, die es einst, gefürchtet, aber respektiert, verlor: „Tit for Tat“ – Was Du kannst, kann ich auch.Als Präsident Obama vor ein paar Jahren Rußland als „Regionalmacht“ abkanzelte, war das Maß nach untern erreicht, ging der Kreml zu Plan B über. Anlaß bot die Krise in der Ukraine. Mit der Annexion der Krim. „Zum Schutz seiner Schwarzmeerflotte und der russischen Bevölkerung dort“, wie es der Kreml angab. Alleingänge, wie sie schließlich im Eingreifen in Syrien ab September 2015 stattfanden, wo Franzosen, Briten, Deutsche, US-Amerikaner und Golfstaaten zuvor 4 Jahre operierten. Alleingänge, die die Welt weiter entzweiten, Stichwort Aleppo und die subjektive Definition von Rebellen und Terroristen, Eroberungen und Befreiungen. Alleingänge? Schon 1982 suchten Großbritannien und Argentinien im Alleingang die Konfrontation um die Besetzung/Befreiung der Falkland – Inseln. Dann fielen die USA auf Grenada ein. Französische Fallschirmjäger operierten in Mali und im Tschad. Der Irak unter Saddam Hussein nahm sich Kuwait. Und Briten und Amerikaner machten ihm, wie auch Libyens Muammar al-Gaddhafi im Alleingang den – brutalen und willkürlichen – Garaus. Alleingänge sind offenbar oft das Maß der Außenpolitik, wenn sich eine Seite a) im Recht und b) überlegen fühlt. Es folgten auch 2016 weitere Sanktionen seitens USA und EU gegenüber Rußland. Ebenso startete Russland einen Boykott von Lebensmitteln aus der EU. „Tit for Tat: Wie Du mir, so ich Dir“. Wann mag das enden? Alleingänge starteten derart „unleashed“ ab 2001 unter Präsident Bush, gipfelten dann unsicher im Irak und endeten schließlich desaströs in Libyen unter der damaligen Außenministerin Hillary Clinton. Diese einseitige Handlungsinitative, losgelöst von Einbeziehung der UNO, geschweige denn der EU, offenbarte ganz ungeschminkt Interessen und Ziele der USA. Dieser bisweilen erfolgreichen, vor allem aber zeitnahen Form direkter Interessenverfolgung konnten autokratisch orientierte Präsidenten wie Putin oder Erdogan nicht lange widerstehen. Bush hat sie geweckt. Obama hat sie groß gemacht. Leider läßt sich das heute so sagen. Them or usSpätestens mit dem Alleingang Rußlands in der Krim-Frage stellte sich erstmals nach langer Zeit wieder eine unilaterale Agenda einem Mehrstaatenbund, hier die EU mit den USA, entgegen. Es folgten Sanktionen, ein quasi Bürgerkrieg in der Ukraine, nationale Reaktionen, die auch Regierungen innerhalb der EU, in Polen, Ungarn, Großbritannien, Bulgarien, der Slowakei, Tschechien in der einen oder anderen Ausprägung einen deutlich unilateralen Stempel ausprägen ließen. Nicht nur in der Grenz- und Innenpolitik, Thema Migration, sondern auch in der Energie- und Umweltpolitik, Stichwort Atomzubau in Großbritannien und Frankreich. Moral und VerantwortungAuch in Deutschland kann man das einseitig und ohne Rücksichtnahme auf die Bedenken und Sorgen anderer EU-Partner erfolgte Öffnen der Grenzen, ja sogar die Energiewende, als nationale Alleingänge definieren. „Moral“, so erklärt es der Philosoph Sir Karl Popper, „ersetzt nicht das Prinzip Verantwortung“: So gut es die Bundesregierung, allen voran die Kanzlerin, mit dem radikalen Umbau der Energieerzeugung aber auch mit der Aufnahme von Migrierenden, nicht alle davon Flüchtende, meinte – so heftig trifft die Umsetzung dieser guten Vorhaben auf die normative Kraft des Faktischen. Und die Ängste und alltäglichen Sorgen vieler Bürger. Und Ängste sind stets subjektiv, sie lassen sich nicht rational, sondern emotional binden. |