München, den 22.2.2016 (dk) – Schuss und Schluss? Nachrichtenagenturen berichten gerade von der durch die #USA und #Russland vereinbarten Feuerpause in #Syrien. Was bedeutet das? Und was folgt?
Eine Waffenruhe ist zunächst einmal gut. Eine Atempause für die geschundenen Menschen im Krieg. Doch die Feuerpause wurde durch kräftigen Druck der beiden Großmächte USA und Russland durchgesetzt. Somit wird auch endgültig allen Beobachtern klar, daß der Krieg in Syrien weder ein innerer, ein Bürgerkrieg oder ein vorwiegend konfessionell orientierter Krieg ist – und wohl auch nie war: Noch trotzen sich die offiziell verhandelnden Kombattanten der syrischen Armee zusammen mit den Überbleibseln der FSA (Der Freien Syrischen Armee) gegenseitig jeden Meter Boden von der Nusra-Frnt, Daesh und weiteren Ablegern Al Qaedas ab. Noch schickt sich Ankaras Protodespot Racep Tayyep Erdogan an, mit Bodentruppen in das Nachbarland einzugreifen. Gleiches überlegt sich zwar auch das Wahabitenherrscherhaus in Riad, allerdings diplomatisch etwas abgeklärter als deren Partner in der regierenden AKP. Was auch nicht so schwierig ist, denn Erdogan tritt, so unken State Department und Weißes Haus, für die außenpolitischen Bestrebungen der USA in der Levante schon seit geraumer Zeit zu laut, zu aggressiv, zu unsensibel und rücksichtslos auf.
So genießen die Kurden heute, bislang als ethnische Pufferzone, eine langsam wachsende Protektion seitens der USA und Russlands, sehr zum Ärger der türkischen Regierung. Präsident Erdogan schäumt vor Wut und feuert verbale Breitseiten gegen seine Bündnispartner in Washington, nach Brüssel sowieso und Breitseiten echten Feuers über die Staatsgrenze südwärts nach Syrien. Die Reaktion des Natorates vergangene Woche in Brüssel setzte diesem Störfeuer sehr klar und in seiner Wirkung einigermaßen überraschend ein deutliches Zeichen über den Bosporus: „Kein NATO – Partner wird sich im Falle eines unilateralen Angriffs auf Syrien oder den Irak auf die Seite Ankaras stellen.“ Was für ein Statement, das einen bislang einmaligen Vorgang innerhalb der NATO darstellt und auf Initiative der Amerikaner verfasst wurde. Auch Saudi – Arabien erklärte, etwas bremsend, daß es Bodentruppen nur im Verbund mit einer US – geführten Allianz nach Syrien entsenden wolle. Damit ist die türkische Armee, welche neben Israel und dem Iran die stärkste Streitmacht in der Region darstellt, politisch isoliert.
Das, zusammen mit dem militärischen Status Quo in der nordsyrischen Großstadt Aleppo (Haleb) stellt einen Wendepunkt im Syrienkrieg dar, der vor knapp einem Jahr, als die ideologisch und strategisch wichtige Stadt Palmyra vom Daesh blutig überrannt wurde, unter entgegen gesetzten Vorzeichen noch ganz anders aussah. Die USA als auch Russland verfolgen schon seit Jahrzehnten ihre eigenen Interessen in Syrien, dem Irak und dem Libanon, wie generell in der gesamten Region. Allerdings etwas verdeckt. Gerade beim Krieg in Syrien traten zunächst die Regionalmächte Türkei, Iran, Saudi Arabien, Qatar, Israel und die V. A. Emirate nach und nach als Akteure an die Oberfläche. Mit wechselnden Schwerpunkten und Interessen.
Es scheint, als sei der syrische Kuchen nun zu klein geworden für so viel Interessenten, jedenfalls pfeifen sowohl Moskau wie Washington langsam ihre Hofhunde zurück an die Kette. Der Iran baut sich unter dem von UNO, den USA und Russland sorgsam vollendeten Atomdeal langsam wieder einen funktionierenden Außenhandel auf. Saudi Arabien verirrt sich derzeit zusehends im Jemen und in Bahrain. Und beide miteinander verfeindeten Regierungen in Teheran und Riad sorgen sich um das wegen massiven Preisverfalls stockende Ölgeschäft. So haben sie also, schon ökonomisch betrachtet, noch Anderes zu tun, als die türkische Regierung, welche auf geographische Expansion und militärischen Protektionismus nach Süden hin, sowie auf einen Sieg gegen die kurdischen Milizen gesetzt hat.
Sowohl Iran als auch Saudi Arabien und die Golfstaaten bemerken gerade, daß das ihnen das Hemd näher sitzt, als die Hose und nehmen die Bälle aus Washington und Moskau auf, die ihnen da zugeworfen werden: „Positioniert euch als Ordnungs- und Handelspartner – und zieht die Säbel runter, dann partizipiert ihr auch an einer möglichen und irgendwann kommenden Nachkriegsordnung.“
Ein mögliches Szenario sähe so aus: Die Kurden bekommen mindestens eine autonome Region zwischen den Provinzen im Nordostirak bis hin zur westsyrischen Provinz Latakya. Die Frage eines eigenen kurdischen Staates stünde damit schon im Raum. Schon jetzt hat Russland den Kurden mit der Eröffnung einer diplomatischen Vertretung in Moskau quasi zu einem Staatsaufbau verholfen. Die Amerikaner haben nicht nur nichts dagegen, schauen aber noch , wie sie den Aufbau eines kurdischen Staates
a) ihren Partnern in Ankara verkaufen können, ohne daß diese das Gesicht verlieren und
b) wie sie dem Kreml den außenpolitischen Schneid abkaufen.
Das heißt, im Grunde laufen die Dinge für das Weiße Haus gut: Das Tischtuch zwischen Putin und Erdogan ist seit dem vollkommen nach hinten losgegangenen Abschuss der SU-24 (und der Ermordung eines der zwei per Schleudersitz zunächst geretteten Piloten durch turkmenische Söldner am Boden) komplett zerrissen. Wenn sich Präsident Erdogan also nun über Präsident Putin ereifert, daß dieser neben Assad auch die Kurden unterstützt, dürfte das den Kreml wohl genauso sehr interessieren wie der berühmte Sack Reis in China. Da Vladimir Putin in der westlichen Welt ohnehin sanktioniert wird, tun die Amerikaner zumindest offiziell Ankaras Wunsch nach Solidarität genüge. Doch hinter vorgehaltener Hand freut man sich in Washington. Sowohl beim Iran – Deal, als auch bei der Aufrüstung für die Kurden wie auch beim diplomatischen Verhandeln mit Tel Aviv wie Riad arbeiten der Kreml und das Weiße Haus nicht nur schon länger, sondern auch gut zusammen.
Der Kuchen ist also längst verteilt. Hier tischen nun die Köche auf, nicht mehr die Kellner! Die Köche kochen in Moskau und Washington. Die Gewinner des Syrienkrieges heißen neben den USA und Russland auch Iran und Israel und ein wie auch immer geartetes Kurdistan. Ein Patt entsteht für die Golfstaaten und Saudi -Arabien: Nicht viel verloren , aber nix gewonnen. In den Strudel gerät die EU, die aber, mit großer Mühe, immerhin noch politisch und langfristig auch wirtschaftlich profitieren k ö n n t e, wenn sie denn wollte. Der große Verlierer ist, jetzt schon, die Türkei. Und die Leidtragenden? Wie immer die Bevölkerung, in Südostanatolien, in Syrien sowieso, im Irak und im Libanon.
Die Amerikaner und Russen liefern weiterhin Waffen, so wie Deutschland auch, an die kurdischen Peschmerga, wohl wissend, daß diese das militärische Gerät auch an andere kurdische Milizen weitersickern lassen. Erdogan weiß, daß die Luft für seine außenpolitische Agenda dünn wird: Hektischer militärischer Aktionismus wie die Entsendung eines Panzerbatallions in den Nordirak oder der Artilleriebeschuss über die syrische Grenzen sind rabiate, aber auch verzweifelte Versuch, doch noch ein paar Figuren auf dem Schachbrett zu seinen Gunsten zu sichern. Aber sowohl in Syrien wie im Irak machen die Amerikaner hinsichtlich Erdogan nicht mehr mit.
Die EU lehnt sich da noch nicht so weit auf dem Fenster, wohl wissend, daß Erdogan beim Thema der Koordination von Flüchtlingsströmen spätestens mit der Initiative von Bundeskanzlerin Merkel ein Handelspartner geworden ist. Nicht nur mit Waffenhandel. Wer es ganz zynisch betrachten will, kann hierbei auch von humanitärem Menschenhandel sprechen, wo sich sowohl die EU, speziell Berlin, als auch Ankara in eine Zwangsumklammerung begeben haben. Und sowohl für die Kanzlerin als auch für den türkischen Präsidenten steht viel auf dem Spiel: Beide müssen ihren Parteien nun sichtbare Erfolge liefern. Vor allem Erdogan steht unter Druck, denn die mächtigen Geldgeber seiner AKP haben die Geländegewinne, als auch die Gaspipeline von Qatar zur levantinischen Küste ursprünglich fest in ihren Bilanzen einberechnet. Platzt nun die gesamte Rechnung – und die Sanktionen durch Russland, inklusive Pipelineprojekt, schlagen gleich doppelt zu Buche – so wird nach und nach auch Erdogans Rückhalt in der Partei erodieren. Mit Geld scherzt man nicht.
Blick über die löchrige syrisch-türkische Grenze: Die syrische Armee unter Assad macht im Zuge der Rückeroberung unter russischer Luftunterstützung beträchtliche Geländegewinne, schafft also größere Verhandlungsmasse, so daß etwa Zwei Drittel des alten Staatsgebiets wieder unter die Hoheit von Damaskus fallen könnten. Qua höherer Verhandlungsmasse und dem erfolgten Abschneiden der militärischen Versorgungswege von und in die Türkei konnte eine Feuerpause nun auch deshalb anberaumt werden, weil das militärische Risiko einer durch die Türkei unterstützten Gegenoffensive etwas geringer eingeschätzt werden kann. Wobei der charakteristische Jähzorn Erdogans auch durchaus irrationale Aktivitäten hervorbringen kann, wie die Vergangenheit mehrfach lehrte. Dennoch, die Feuerpause wurde auch auf Druck des Kreml hin, der Führung um Assad sehr nahe gelegt. Ähnlich wies das Weiße Haus die Saudis auf ihre Plätze.
Die kurdische Karte
Unter dem Zugeständnis einer Gebietsabtretung an die Kurden hätte aber auch Assad eine militärische wie politische Sicherheitszone durch die gut bewaffneten und kämpferisch erprobten Kurden im Norden des Landes. Eine, unter den gegebenen Umständen wichtige Win-Win Situation sowohl für die Kurden, die sich nun erstmals staatlich definieren könnten, als auch für die Syrer um Assad, die damit keine direkte Konfrontation mit der Türkei fürchten müßten. Ähnlich denkt bereits die Regierung in Bagdad: Eine autonome kurdische Region ist bereits jetzt de facto Realität. Ein neuer Staat im Norden des Irak würde zwar diesem Staatsgebiet abtrennen, doch einen neuen Handelspartner eröffnen, denn ein neuer Staat bedeutet Aufbau, Wirtschaft, Währung. Land gegen Frieden. Divide et impera. Das sieht auch Damaskus so. Nur nicht offiziell, denn noch werden die Karten gemischt und keiner kann sich zu früh festlegen, muss sich noch positionieren. Hypothetisch betrachtet aber würden alle kurdischen Provinzen des Irak und Syriens zusammen genommen eine Allianz gegen Erdogans Kurs bilden, flankiert von den Russen und den Amerikanern, die, zwar zähneknirschend, aber ganz realistisch, den „regime change“ in Damaskus erst einmal aussetzen und auf Zeit spielen.
Auch Israel gehört in dieser seltsamen Allianz zu den Gewinnern: Die Regierung in Tel Aviv hat nun einen stark geschwächten Nachbarn, der nach Ende des Krieges über Jahre hinweg über alles mögliche nachdenken wird, nicht aber über eine militärische Konfrontation mit Israel. Und gleichzeitig würde diese Lösung auch den Expansionismus eines Erdogan stoppen, der zwar offiziell, schon wegen der USA, mit der Regierung in Tel Aviv bepartnert ist, de facto aber auch Sympathien für die Hamas – Milizen im Gaza-Streifen zeigte und, zusammen mit den Saudis, als ein Förderer islamistischer Lehren im Westjordanland galt. Viele kleine Staaten (Libanon, Jordanien, ein geschwächtes Syrien und ein neues, aber relativ kleines Kurdistan) als Nachbarn und angekettete Mittelmächte wie Iran, Türkei und Saudi – Arabien lassen Israel ein Stück weit ruhiger schlafen, wäre zu vermuten.
Ohne daß Erdogan und sein nun zurück getretener Premier Ahmet Davutoglu so aggressiv gegen die eigene kurdische Bevölkerung, gegen Journalisten, Oppositionelle und religiöse Minderheiten wie den Aleviten, so wie einst gegen Armenier und Assyrer, vorgegangen wären und derzeit immer noch vorgehen (was hierzulande tragischerweise kaum das mediale Echo findet, was es bekommen sollte), wäre diese kurdische Karte kaum von den Großmächten, geschweige denn von den geschwächten Regierungen in Damaskus und Bagdad gezogen worden. So aber hat sich Ankara diametral einem Friendsprozess mit den kurdischen Akteuren entgegen gesetzt, daß eine neue staatliche Lösung praktisch den Berg hinunter ruft!
Das Pipelineprojekt:
Es gibt noch ein weiteres As, das einem neuen kurdischer Staat, mindestens aber einer autonome Region der Kurden im Irak und in Syrien zugespielt wird: Die Gaspipeline von Qatar durch die Levante ans Mittelmeer! Dieses ambitionierte Projekt der Monarchen von Qatar, einem der weltweit gasreichsten Länder, gemessen an der Staatsfläche, sollte Erdgas direkt an einen Terminal ans Mittelmeer liefern. Aus logistischen Gründen wäre die Türkei ein Umweg. Zudem hatten die Türken bereits ein ähnliches Projekt mit Russland geplant, das russisches Erdgas über die Türkei an die Terminals der türkischen Mittelmeerhäfen zur Verladung liefern sollte. Qatar stieg also ins Konzert der Mittelmächte ein, um auch etwas von den eigenen Kompositionen ins Horn zu blasen: In diesem Falle einen regime change in Syrien zu unterstützen, welcher nach dem geplanten Fall des verhassten laizistischen Regimes in Damaskus eine willfährige Regierung etablieren sollte, um das Erdgas über Land durch Syrien sowohl kostengünstig wie planungstechnisch einfacher an die europäischen Kunden liefern sollte.
Komplexer Gas-Transit
Wer weiß, wie auf den Terminmärkten Gas gehandelt wird, ahnt nun auch, daß das in der EU heiß diskutierte Thema „Gas aus Russland“ mehr ist, als eine rein politisch gewollte Abkehr vom russischen Erdgas nach Mitteleuropa, nein, es geht, wie so oft, auch um blanke wirtschaftliche Interessen. Denn: Aufgrund seiner Lage am Persischen Golf ist Qatar vom lukrativen europäischen Gashandel etwas isoliert. Öl läßt sich noch auf Tanker verladen. Bei Flüssiggas ist das etwas anders, weil diese unter hohem Druck und starker Kühlung, in einer der klimatisch heißesten Regionen der Erde, nur mit hohem Aufwand auf dem Schiffswege transportiert werden kann. Dazu ist der Gaspreis an den Ölpreis gebunden. Bei einem im freien Fall befindlichen Ölpreis, der bereits jetzt, bei unter 20 US – Dollar in Ländern wie Venezuela oder Mexiko nicht einmal mehr die Förderkosten deckt, lohnt sich der Aufwand nicht per Schiffstransport. Aber eben über eine Pipeline.
Über Pipelines liefert Russland (schon lange vor dem Fall der Berliner Mauer) günstig, im Sinne von logistisch einfach, nach Ost- und Mitteleuropa. Aus katarischer Sicht also blöd, daß zwischen den Erdgasfeldern in Qatar und der Mittelmeerküste bei Latakya eben das (ebenfalls lange vor Mauerfall) russlandfreundliche Syrien lag und liegt, mit dessen Führung man aus religiösen, politischen oder anderen, im Grunde genommen unwichtigen Gründen, nicht sprechen wollte oder konnte. Zudem hätte Moskau das Pipelinegeschäft eines Konkurrenten quer durch ein befreundetes Land wie Syrien nicht entzückt. Und: Syrien braucht kein Gas aus Katar, denn die heimischen Öl- und Gasquellen lieferten genügend Rohstoffe zur Binnenversorgung. Offenbar hielt man aus kanarischer Sicht eine Beteiligung am Krieg für lukrativer, weshalb die Regierung in Doha ganz offen seine Akteure und Kombattanten des Krieges in Syrien finanziell unterstützte.
Bis zum Kriegsverlauf im August 2015, als Truppen des so genannten „islamischen Staates“ sukzessive alle Gas- und Ölfelder im Osten und im Zentrum Syriens besetzten und die Rohstoffe ungehindert in die Türkei schmuggelten, quasi gewaltvoll die Blaupause für eine mögliche katarische Pipeline legten, schien die Rechnung für Qatar auch aufzugehen . Dem Raub syrischen Öls ist jedoch mit Beginn der russischen Luftoffensive im September 2015 vorläufig ein Ende gesetzt worden.
Sollte also Syrien im Zuge der Rückeroberungsoffensive durch die regierungsloyale Armee und ihrer Verbündeten einen Großteil seines Staatsgebiets inklusive der logistisch und geopolitisch wichtigen levantinischen Küste mit den russisch geführten Häfen Tartous und Latakya behalten, wäre in der Folge auch Qatar in das Segment der Verlierer beim levantinischen Kuchenverteilen zu sortieren. Wobei: Qatar wird weniger hart auf den Boden der Tatsachen aufprallen, als andere: Es hat Kapital gesichert, vor allem in Europa. Es wird beim Fußball, beim Automobilbau, in Schlüsselindustrien und natürlich beim Fußball wirtschaftlich nicht untergehen. Politisch bleibt Qatar nach dem Syrien-Spektakel aber das, was es auch vor den Umbrüchen im Nahen Osten schon war: Ein Zwerg. Das wird am Ego seiner feudalen Führer kratzen. Wo also dieses zukünftig saturiert wird, bleibt abzuwarten.
Das Win Win Szenario:
Qatar könnte, wenn dessen feudale Führer ihr Ego überwinden, ebenfalls die kurdische Karte goutieren: Ein Gebietsgewinn stand für Katar aufgrund seiner Lage (der große Nachbar heißt Saudi Arabien) ohnehin nie zur Debatte, sondern „nur“ ein Zuwachs von weltpolitischem Prestige und wirtschaftlichem Gewinn. Falls es tatsächlich zur Bildung eines kurdischen Staates in den bereits jetzt existenten kurdischen Autonomiegebieten Syriens und Iraks entlang der türkischen Grenze kommen sollte, so wäre durch dieses junge Kurdistan der Bau einer Pipeline von Katar in die Levante möglich: Entweder über einen Terminal im türkischen Iskenderya (Alexandria) – oder durch einen kleinen Terminal nördlich von Latakya, den Syrien zusammen mit den Kurden unterhalten könnte – oder der, aus Assads Sicht nachteilhafter, sogar vom aktuellen syrischen Staatsgebiet zugunsten der Gründung eines kurdischen Staates mit Mittelmeerzugang abgezweigt werden könnte. Das entscheidet das Verhandlungspoker zwischen den beteiligten Akteuren.
Qatar als Geldgeber der Türkei könnte also den Terminal in der Türkei bauen lassen, womit sowohl die Regierung in Doha als auch in Ankara nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre ökonomischen Interessen wahren könnten. Allerdings würde Erdogan damit auch sowohl den kurdischen Staat anerkennen müssen, als auch diesem per Pipeline zu ökonomischer Prosperität verhelfen. Gleichzeitig stünde ein Friedensschluß zwischen Kurden und Türken im Raum. Man wird sowohl von russischer wie amerikanischer und letztlich auch europäischer Seite Herrn Erdogan dieses Angebot zuspielen. Er wird innerlich toben und stampfen wie Rumpelstilzchen, denn ausgerechnet er, der Kurdenjäger, würde dann mit seiner Unterschrift, so er dann noch im Amte ist, erstmals einen kurdischen Staat mit legitimieren.
Ein Treppenwitz der Geschichte, durchaus. Aber die einzige Möglichkeit, die ihm, rational betrachtet (Was keine Stärke Erdogan ist) bleibt, ohne, daß er noch mehr verliert. Er kann nicht mehr gewinnen, sondern nur noch weniger verlieren. Den Menschen der Region, im Irak, in Anatolien, in Syrien ist es zu wünschen, daß die Berater des türkischen Präsidenten auf etwas Besonnenheit stoßen.
Vorhang – Was die politische Bühne zeigt:
1 – Zum Einen, daß eben am Ende der Kette vieler Akteure die wirklich große Weltpolitik in Moskau und Washington verhandelt wird, vielleicht ein wenig London, Peking, Tel Aviv und Genf dazu. Aber nicht viel. Dann erst kommen die Anderen, die sich eine Nummer im Wartesaal des Weltkonzerts ziehen dürfen. Nichts hat Amerikaner und Russen in diesem Syrienkrieg, den einige Blauäugige noch immer als Bürgerkrieg oder gar Religionskrieg betrachten, näher genutzt, als ihre vermeintliche politische Schwäche der letzten Jahre. Sie haben durch langes Abwarten die Mittelmächte dazu gebracht, ihre Munition leer zu feuern, ihre Pläne offen zulegen und sich gegenseitig patt zu setzen! Um dann ihre eigene, sehr langfristig aufgebaute Agenda durchzusetzen. Nun wird das Muster sichtbar. Well done, Mr Kerry und Herr Lavrov, well done. Sehr abgezockt!
2 – Es zeigt zudem, daß beide Großmächte sehr wohl und auf Dauer sogar relativ visionär, miteinander handeln, umgehen und planen können. Über die Brutalität dieses Handelns ließe sich viel sagen. Allerdings ist der Umgang mit so viel geballter Macht, wie sie beide Mächte vereinen, auch ein Umgang mit Zwängen. Es wäre ignorant, davon auszugehen, daß trotz allem medialen Schlagabtauschs lauter Hitzköpfe an den Schalthebeln beider Regierungen säßen. Da ist viel kühles Kalkül vonnöten.
3 – Ferner zeigt sich, daß es immer wieder wirtschaftliche Interessen sind und waren, welche Kriege sowohl beginnen wie beenden können. Beides. Es sind stets kapitalintensive Ströme, welche Kriegsparteien, egal welche, finanzieren, die zu Beginn eines Konfliktes erst einmal nicht so recht sichtbar sind. Aber mit der Zeit werden. Zumindest in der vorderen Reihe. Politiker verkaufen Geschäfte, sie labeln sie – aber sie initiieren sie nicht. Nicht auf dem Weltparkett. Vielleicht in kleineren Kommunen. Und nichtmal dort. Bill Clinton sagte einmal: „It’s the economy, stupid!“
4 – Und es zeigt sich, daß Wirtschaft und Politik gerade an engeren Handels- und Zufahrtswegen, wie dem Persischen Golf, dem Bosporus, der Straße von Gibraltar und eben der Levante, zusammen kommen. Man nennt das Geopolitik:
Die Levante war, ist und wird, so lange die unaufhörliche irdische Plattentektonik Afrika, Asien und Europa dort nicht schneller auseinanderdriften läßt,eine immer eine von GROSSMÄCHTEN initiierte wie diktierte Region für Stellvertreterkriege bleiben.
Es war, ist und wird dadurch, bis zum prognostizierten Kontinentaldrift in einigen Millionen Jahren, auch immer eine Gegend der Migration bleiben. Denn Kriege bestimmen die Region, die wiederum von der Geopolitik bestimmt wird:
Wer kann, geht nach Amerika oder Australien.
Es gibt weltweit allein etwa 60 Millionen Syrer bzw. Syrien-Stämmige. Davon lebten schon VOR dem Krieg 40 Millionen NICHT in Syrien, sondern, ähnlich wie die Iren, Polen und Italiener, größtenteils in beiden amerikanischen Kontinenten und Australien/Ozeanien. Seit 1914 hat es auf den Gebieten der heutigen Staaten Syrien, Libanon, Irak, Ägypten, Israel so dermaßen oft unter wechselnden Vorzeichen und Dirigenten gekracht, daß viele der Bewohner dort nicht nur die Kriegs-, sondern auch die Friedensphasen nutzten, um endlich ihren Traum von einem stabileren Leben zu verwirklichen. Bereits an anderer Stelle schrieb ich schon, daß viele Syrer Deutschland, viele Iraker England und viele Libanesen Frankreich, sowie fragmentiert auch die Schweiz, Österreich, Spanien, Italien, Griechenland, Russland und die Beneluxstaaten in Europa aufsuchten.
Rechte Provokateure mißbrauchen Migration als Steigbügel
Die meisten indes gingen nach Nord- und Südamerika wie Australien. Wissend, daß die Brandherde der Levante auch ab und an Europa erreichen. Und daß Europa wegen seiner Lage immer wie ein Flaschenhals bei Krieg und Vertreibung wirkt; zwar eine Projektion für Heimat bietet, aber gerade für diejenigen, die ihre Heimat für immer verlassen, einen nur recht dünnen Schimmer Hoffnung für eine neue Heimat verspricht.
Und so zimmert sich der düstre Geist Flaschenhals grad wütend Bahn, vielerorts in Deutschland. Die brutalen Ereignisse in Köln und Sachsen stehen in medialem Zusammenhang, nicht unbedingt causal, aber doch, was die Gewaltbereitschaft betrifft, auch juristisch: Die Amtsgerichte werden mit Anzeigen geflutet. Doch der soziale Dammbruch ist etwas, das die Iudikative mangels abschreckender Prophylaxe kaum noch reparieren kann. Es ist also nun eine Frage der Exekutive geworden, die ohne Wehrhaftigkeit staatlicher Organe droht, dem Mob der Straße anheim zu fallen.
Und jetzt? Die Angst, dann die eigene Frustration, formt mit dem für rechte Rädelsführer willkommene Steigbügel der Migration (denn der Haß und der Frust waren zumeist schon vorher in den kalten Herzen verankert) den Weg für Haß, für Gewalt. Auch in Europa, auch hierzulande und offenbar besonders arg in Sachsen, worüber ich ja schon jahraus, jahrab mehrere Essays zur Zeitgeschichte schrieb.
Also schauen wir, was gerade in der Levante passiert, von wo aus die Kriegsfolgen nun auch ganz ungebremst in Europa ankommen, nicht nur in Form von Flüchtlingszügen, sondern auch in Form von innenpolitischen, von ökonomischen Folgen, von Außenpolitik, von Europapolitik.
Es ist wirklich ganz grauenhaft, daß seit der Antike jeder Stein im Nahen Osten durch lauter Kriege umgewälzt wird. Noch beschämender, daß dies wohl, trotz aller Kenntnis um Geschichte und Politik, wohl auch weiterhin so bleiben wird, So macht sich, das erleben wir gerade, jeder und jede , egal wer, der/die da kann, mit greifbarem Hab und Gut auf und davon. Ganz klar. Flucht und Ankunft in der Fremde, das sind Bruchstellen des Lebens, dem Verfasser dieser Zeilen, wie so vielen Menschen, gerade heute, nicht gänzlich unbekannt.
Wer in der Levante wirklich Koch und Kellner ist
Wer in der Levante wirklich #Koch und wirklich #Kellner ist, haben wir nun also begriffen. Zur Veranschaulichung des Textes mag hier auch meine Servietten-Grafik (Siehe Illustrationen in diesem Beitrag) dienen, welche ich heute während der #Mittagspause kritzelte: Schon ohne die topographische Darstellung zwischen den Wasserstraßen des Mittelmeeres, des Roten und Schwarzen Meeres und des Persischen Golfs, sowie der alten Handelsstraßen und heutigen Rohstoffrouten zwischen China und Indien Zentralasien und der Levante, der Ägäis und Ägypten sehen wir, wer schon jetzt am meisten Kapital, Waffen, Medienoutput und politisches Interesse in Syrien liefert.
Konzert der Großmächte
Die EU, zwitterhaft Lieferant, Kunde und auch Akteur im Nahen Osten, geht im politischen Konzert der mittlerweile recht laut agierenden Groß- und Mittelmächte zumindest medial unter. Der sogenannte „IS“ oder auch „Daesh“ ist in dem Sinne kein Akteur, sondern Fußsoldat und Söldner von mittlerweile recht vermischten Kreisen. Darum hier auch nicht aufgeführt, schon gar nicht, um dem geraubten oder besetzten Land zwischen dem Irak und Syrien gar nicht erst einen Fuß breit Legitimation zu verschaffen. Ja, es gibt Fanatiker und Terroristen und ja, es gibt Scharen von Verblendeten Banditen, die im Namen eines Gottes oder Auftrages morden, brandschatzen, vergewaltigen, entführen. Aber letzten Endes, man beobachten den Geld- und Warenfluß, sind auch diese Banditen nur Figuren auf dem Schachbrett. Ziemlich aggressive Figuren, aber nichts weiter als ein Teil des Spiels.
Aleppo wird von einigen Medienvertretern in diesen Tagen mit dem Kessel der sowjetischen Verteidiger um die eingeschlossene 6. Armee der Deutschen vor Stalingrad 1943 verglichen, nicht nur in der militärischen Betrachtung, sondern auch in der symbolischen. Ich habe mit diesem historischen Bezug in vielerlei Hinsicht meine Mühe und würde, wenn schon Vergleiche zum WK II gezogen werden müssen, eher Torgau an der Elbe im Frühjahr 1945 als Bild befleißigen, wo Panzerbatallione der Roten Armee und der Amerikaner erstmals sichtbar in Deutschland zusammen trafen, sich die Hand reichten und damit nicht nur politisch, sondern auch militärisch den Ring um Berlin schlossen.
tl;dr
Die Visiere sind nun auch in Syrien gefallen, die Kombattanten zeigen ihr Gesicht. Es naht die Zeit der Diplomaten. Die Söldnerheere treten zur Seite.
Oder werden woanders neu formiert.
Weitere Informationen:
Beitrag Buccaneer.Zone: „Sachsen. Du schaurig- schöne Heimat“
Beitrag: Buccaneer.Zone: „Globaler Kampf um Ressourcen„.
Spiegel Online über die Warnung des NATO – Rates an Ankara.