Rauch verbindet
Allein schon der Titel weckt Neugierde: „Das Zigarettenmädchen“, der Roman der indonesischen Autorin Ratih Kumala nimmt uns mit auf eine Reise, die einen tiefen Einblick in die jüngere Zeitgeschichte und Alltagskultur des Inselstaates zwischen pazifischem und indischen Ozean liefert.
Ausgerechnet auf seinem Sterbebett murmelt der von vielen Schlaganfällen gezeichnete Vater immer wieder den Namen „Jeng Yah“. Jeng Yah, mutmaßen seine Kinder, heißt offenbar eine Frau aus Kudus, seinem Heimatort auf der Insel Java. Wer ist diese Frau, deren bloßer Name die Mutter des jungen Lebas und seinen Brüdern Karim und Tegar so erzürnt, daß sie tunlichst vermeiden, von ihr zu sprechen – eine Jugendliebe ihres Vaters womöglich?
Und was ist in der Vergangenheit wohl vorgefallen, daß sich dieses Tabu nun aus dem Todkranken Gehör verschaffen muß?
Javaanse Road Movie
Lebas wird klar, daß er sich auf die Suche nach Jeng Yah begeben muß, denn nach Auffassung des Ältesten, Tegar, habe dieser ohnehin „nichts besseres zu tun, als in den Tag hinein zu leben“, während er und Karim, der sowohl vom Alter wie von der Schlichterrolle her zwischen dem Jüngsten und dem Ältesten steht, die Zigarettenfabrik des Vaters leiten müssen. Dabei versucht Lebas seit jeher, sich einen Traum zu erfüllen: Er möchte Spielfilmregisseur werden. Für das Fernsehen, aber auch für bestenfalls zweitklassige Horrorfilme hat er sich schon einen eher belastenden Ruhm als Filmemacher aufgebaut, doch die richtige Erfüllung, einen anspruchsvollen Spielfilm zu produzieren, blieb Lebas bislang verwehrt. So zieht ihn Tegar stets auf’s Neue auf, daß Lebas’ kreative Ambitionen „zum Scheitern verurteilt seien“. Doch Lebas läßt nicht locker. Während einer der Wachphasen seines Vaters erfährt Lebas, daß sich der kranke Patriarch noch vor seinem Ableben ein Wiedersehen mit Jeng Yah wünscht. So beschließt Lebas, daß er dessen Wunsch nachkommen wolle. Zum Einen ist es seine angeborene Neugier als Filmautor, zum Anderen kann er gleichermaßen der Enge des Familienzwists entfliehen und sich Inspiration für seinen Film auf dem kommenden Trip erhoffen.
Auf der Reise kommen sich die Brüder das erste Mal seit Langem geistig näher als in der Enge des gemeinsamen Zuhauses. So bereitet die Suche nach Jeng Yah den roten Faden für die Geschichte, immer wieder illustriert von Rückblicken zur Familiengeschichte des Zigarettenfabrikanten, die in dem politisch wie sozial recht konfliktreichen Land nebenbei auch zeithistorische Geschehen dokumentiert. Rauch verbindet und trägt Gedanken, heißt es und so bekommen wir auch Eindrücke von der Kunst der Zigarettenproduktion, die auf Java mit der besonderen Mischung aus Tabak und Nelkenextrakt die „Kretek“ – Zigaretten generiert hat:
Kretek: Das Knistern
Kretek waren einst auch in Deutschland mit der Marke „Gudang Garam“ erhältlich. Ihr süßlich-strenges Nelkenaroma erfüllte jeden Raum mit einer sehr intensiven Note, wodurch ihre Konsumenten schnell identifiziert werden konnten – was in der einen oder anderen Form für unmittelbare Kommunikation sorgte: Entweder wollten Mitraucher gleich ein paar der seltenen Kretek schnorren – oder sie verlangten das sofortige Löschen der indonesischen Glimmstängel. „Kretek“ wurden die Zigaretten auf Java genannt, weil das Abrauchen der Zigarettenhülsen mit beigemengtem Nelkenöl für knisternde Geräusche sorgte, die so ähnlich wie „Kretek-Kretek“ klingen. Dieser onomastische Logismus ist dabei nur ein Beispiel für die lautmalerische Sprache Indonesiens, die nicht nur viele Elemente unterschiedlichster Sprachen des weit verzweigten Archipels, mit malaiischen, hindischen, han-chinesischen, siamesischen und melanesischen Derivaten vermengte, sondern auch die Sprache der ehemaligen Kolonialherren aus den Niederlanden als modernes Substrat einpflegte. Rauch verbindet. Und so zeigt sich in Ratih Kumalas „Zigarettenmädchen“ auch die Verbindung zu unserer eigenen, europäischen Kultur: Die Alltagssorgen und Wünsche Kumalas’ Protagonisten, ihre Ziele und Bedürfnisse sind kaum von unserem Alltagsleben zu unterscheiden. Und so geht der Blick beim Lesen in die Fahrt hinaus, in die Seele Javas, Indonesiens, die wir in Europa vielleicht ein klein wenig schon in den Niederlanden und der dort recht präsenten indonesischen Gesellschaft entdecken können.
Kulturland Indonesien – zwischen staatlicher Diktion und literarischem Aufbruch
Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse war Indonesien auch das Gastland. Die Besucher durften sich über eine mehr als sonst reichere Auswahl an Büchern und Beiträgen aus dem Inselstaat freuen – gleichwohl trug die rigide Ignoranz, ja Zensur der Indonesischen Behörden zu brisanten politischen wie sozialen Themen wie den blutigen Unruhen 1965/66, ausgerechnet zum renommiertesten indonesischen Literaturfestival, das vom 28. Oktober bis 01. November auf Bali stattfindet, sehr zur – berechtigten – Kritik bei: Die dortige Festivalleitung gab jüngst bekannt, daß sie sämtliche Programmpunkte, welche sich mit den damaligen Massakern an Kommunisten und deren Sympathisanten beschäftigen, aufgrund behördlichen Druckes aus der Veranstaltung entfernen musste! Das zeigt, wie sehr Autorinnen und Autoren aus dem Gastland auch heute noch auf die Konsequenzen ihrer Publikationen gefaßt sein müssen, wenn diese nicht dem staatlichen Konsens entsprechen.
Das Zigarettenmädchen als Print – Premiere bei CulturBooks
Auf diese Umstände gehen auch das Verlagshaus CulturBooks ein, welches am 8. Oktober 2015 mit Ratih Kumalas Roman „Das Zigarettenmädchen“ eine Premiere feierte: Erstmals brachte das junge und couragierte Verlegerteam um Zoë Beck und Jan Karsten, das sich auf die Veröffentlichung von e-books spezialisierte, eine Print-Version auf den deutschsprachigen Buchmarkt. Der mitreißende Roman wird sicherlich den Auftakt zu weiteren gedruckten Büchern darstellen, wobei die e-book Publikationen natürlich fortgesetzt werden sollen, wie Beck und Karsten auf Anfrage versicherten.
von Daniel Khafif – 04. November 2015
zuerst erschienen auf www.rezensionen.ch
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LITERATUR ROMAN INDONESIEN INDONESISCH